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Omikron: Kritische Infrastruktur

Ethik-Visite kann Kliniken bei Krisen wie Omikron stärken

Klinik

Wenn die Pflegekräfte in den medizinischen Teams gehört werden, wirkt sich das oft positiv auf das Arbeitsklima aus (Symbolbild)

Kliniken gehören zur kritischen Infrastruktur. Klinikseelsorgerinnen und Klinikseelsorger erleben unmittelbar, wie sich die Krankenhäuser auf die Omikronwelle vorbereiten. Dabei haben einige mit den Chefärzten nachhaltige Vorhaben wie Ethik-Visiten oder –Besprechungen mitinitiiert, die auf vielen Ebenen zur Krisenfestigkeit beitragen. Auch die Politik ist gefragt.

Zum Schutz vor der Delta- und Omikron-Variante gilt in vielen Krankenhäusern ein Besuchsverbot. Seit Wochen bereiten sich die Kliniken auf die Omikronwelle vor, auch in der BG Unfallklinik Frankfurt am Main. „Intensivbetten werden für Corona-Patienten vorgehalten, dadurch werden Operationen nach hinten verschoben. Im Moment ist die Situation aber relativ ruhig“, berichtet der Klinikseelsorger Lothar Jung-Hankel vor Ort. Er ist auch Sprecher der Klinikseelsorge in der EKHN und im Vorstand der EKD-Konferenz „Klinikseelsorge“. Auch die Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken sind aktiv: „Aktuell berät der Krisenstab über Maßnahmen zur Vorbereitung auf steigende Fallzahlen im Rahmen der Omikron-Welle“, berichtet Pressesprecherin Beatrix Salzgeber. So haben die evangelischen Diakonie-Klinken ein Konzept entwickelt, um die Behandlungskapazitäten für Covid-19 Patienten flexibel und kurzfristig an die aktuelle Lage anpassen zu können. Deshalb werde aktuell möglichst „personalschonend“ gearbeitet, beispielsweise seien zwischen Weihnachten und Neujahr bestimmte Stationen geschlossen worden, „um dann, wenn es ernst werden sollte, genügend Personal zur Versorgung unserer Patient:innen zur Verfügung zu haben“, erläutert Beatrix Salzgeber.

Impfkampagne wurde von vielen Klinik-Mitarbeitenden angenommen

Zu den Schutzmaßnahmen der Diakonie-Kliniken gehört laut Pressesprecherin auch, „dass unsere Mitarbeiter:innen und Patient:innen gemäß unseres Testkonzepts regelmäßig getestet werden.“ Hier planen die Diakonie-Kliniken aktuell die Testfrequenz noch zu erhöhen. Des Weiteren gelte für alle Mitarbeitenden mit relevanten Kontakten die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. Auch Pfarrer Jung-Hankel berichtet, dass in der Unfallklinik zum Schutz aller die Mitarbeitenden zwei Mal pro Woche getestet werden, er selbst teste sich nahezu täglich, zudem sei er durchgeimpft. Auch Pfarrerin Renata Kiworr-Ruppenthal ist geboostert und führt zusätzlich selbst täglich einen Corona-Test durch. Sie ist als evangelische Klinikseelsorgerin im St. Josefs-Hospital Rheingau in Rüdesheim und als Vorsitzende im Hospiz-Dienst Rheingau e.V. tätig. Sie freut sich, dass die Impfkampagne unter den Mitarbeitenden der Klinik in Rüdesheim gut angekommen sei, sodass auch auf freiwilliger Basis ein guter Impfstatus erreicht worden sei.  Auch die Diakonie-Kliniken in Frankfurt haben mehrere Impftage speziell für Mitarbeiter:innen organisiert, sodass schon viele ihre Booster-Impfung erhalten haben.  

Um Personalengpässe während der Omikronwelle möglichst zu vermeiden, hatten laut Medienberichten Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident:innen Anfang Januar 2022 beschlossen, die Quarantäne- und Isolationszeiten zu verkürzen. 

Gelebte Wertschätzung gegenüber dem Pflegepersonal, auch in der Ethik-Visite

In Zusammenarbeit mit der Klinikseelsorge und dem neuen Chefarzt hat die BG Unfallklinik zudem nachhaltig vorgesorgt: „Unsere Klinik hat es geschafft, junge Pflegekräfte zu halten. Das Klima ist gut“, freut sich Pfarrer Lothar Jung-Hankel. Er erklärt, welcher Aspekt mit zu einer stabilen Personaldecke beiträgt: „Mit dem Ethikkomitee und der Klinikseelsorge konnten wir vor zwei Jahren eine Ethik-Visite in der Intensivstation einführen. Dann können sich alle äußern, die am Therapieprozess beteiligt sind. Nicht nur Ärztinnen und Ärzte sind dabei gefragt, sondern auch die Pflegekräfte mit ihrer Kompetenz.  Sie können ihre Vorschläge mitteilen oder sagen, was sie stört. Dadurch fühlen sie sich stärker wahrgenommen. Als Klinikseelsorgende moderieren wir diesen Prozess.“ Zudem erleben die Pflegekräfte, dass sie durch die Klinikseelsorge unterstützt werden. Auch im St. Josefs-Hospital in Rüdesheim werden regelmäßig ethische Besprechungen einberufen. Klinikseelsorgerin Kiworr-Ruppenthal erläutert: „Unserem Chefarzt ist wichtig, dass neben den medizinischen Punkten auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden, dadurch erhält auch die Seelsorge einen besonderen Stellenwert.“ Für ethische Fragen gibt es auch in den Diakonie-Kliniken in Frankfurt eine Anlaufstelle: In Grenzsituationen berät das Ethik-Komitee im angeschlossenen Markus-Krankenhaus und bietet Entscheidungshilfen. 

Achtung vor jedem menschlichen Leben

Auch im Hinblick auf die Diskussion um die Triage stimmten sich Ärzte und die Klinikseelsorge im St. Josefs-Hospital im Rheingau über ethischen Maßstäbe ab und suchen immer wieder einen Konsens. Hier geht es darum, wie bei einem massenhaften Patientenaufkommen zu entscheiden ist, wenn die Ressourcen nicht ausreichen, um allen eine passende medizinische Behandlung zukommen zu lassen. Klinikseelsorgerin Kiworr-Ruppenthal ist erleichtert, dass Einzelfallentscheidungen in guter interdisziplinärer Absprache verhindern sollen, dass das Leben einzelner Patientinnen und Patienten gegeneinander abgewogen wird. „In unsere ethischen Überlegungen fließt neben der medizinischen Prognose viel von der Lebenssituation, von Werten und individuellen Faktoren mit ein“, erklärt sie.

Bedürfnisse der Pflegekräfte im Blick – Forderungen an Politik

Die ganzheitliche und achtsame Haltung wirke sich stattdessen auch im Rheingau auf die Pflegekräfte aus: „Sie sind hoch motiviert und springen zusätzlich ein, wenn es eng wird. Eine wichtige Grundlage dafür ist, dass die Vorgesetzten auf eine wertschätzende Kommunikation und einen guten Informationsfluss achten“, berichtet die Klinikseelsorgerin. Auch mit kleinen Gesten wie einem Eiswagen im Sommer hätte die Klinik den Mitarbeitenden ihre Anerkennung signalisiert. Zentral sei allerdings die Kommunikation: „Es wird viel und sachlich informiert. Während der letzten Umfrage haben die Mitarbeitenden sich gewünscht, dass es eine Supervision gibt, wenn die Situation besonders eng wird. Das würden wir dann bei Bedarf auch als Klinikseelsorge anbieten“, berichtet Pfarrerin Kiworr-Ruppenthal. Doch eine einzelne Klinik kann das grundsätzliche Problem des Pflegenotstandes nicht lösen, trotz aller Maßnahmen ist auch die Überlastung des Personals in der Rüdesheimer Klinik ein Thema.  Die Klinikseelsorgerin appelliert: „Gesamtgesellschaftlich muss sich viel ändern in Richtung einer echten Wertschätzung der Pflegeberufe. Deren Bedeutung ist ganz zentral. Und zur Wertschätzung gehören nicht nur Worte, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen und eine andere Gehaltsstruktur.“

Aktiv Kontaktwunsch an Klinikseelsorge richten

Bereits vor Omikron war die Klinikseelsorge aufgrund des Besuchsverbotes herausgefordert. Beide Klinikseelsorgende berichten, dass sie die Verbindung zwischen Patienten und Angehörigen tatkräftig unterstützen, indem sie beispielsweise Telefonate oder Videotelefonie ermöglichen. Zudem appellieren sie, aktiv den Wunsch nach einem Kontakt mit der Klinikseelsorge zu äußern – ob telefonisch oder vermittelt über das Pflegepersonal. Denn bei vielen Neuzugängen sei nicht zu ahnen, wer ein Gesprächsbedürfnis habe. Aber: „Wir sind für Patienten und Angehörige da, auch für die Bedürfnisse der Mitarbeitenden haben wir ein Ohr“, versichern beide Klinikseelsorgende.

Tod eines Eishockeyspielers

Wenn der Tod im Raum steht, ist die Klinikseelsorge besonders gefordert. Der schwere Unfall eines 18-jährigen Eishockeyspielers zeigt, welche Rolle in Krisen der Klinikseelsorge zukommt und wie ethische Fragen dabei aufgegriffen werden. Der Tod des jungen Sportlers  Pfarrer Jung-Hankel noch in den Knochen. Die Eltern des Verstorbenen haben zugestimmt, dass der Pfarrer seine Geschichte erzählen kann: „Der junge Mann hat sich unglücklich einen Halswirbel bei einem Eishockeyspiel gebrochen, bei dem sein Bruder mitgespielt und die Eltern unter den Zuschauern waren. Die Familie hat alles mitbekommen. Als der junge Mann dann auf der Intensivstation lag wurde deutlich, dass er in wenigen Tagen sterben würde.“ Klinikseelsorger Jung-Hankel begleitete die Eltern. Er erlebt auch, wie betroffen die Pflegekräfte durch die Situation waren und stand auch ihnen bei. „Es war ganz wichtig, alle Schritte mit den Beteiligten während der Ethik-Visite und in weiteren Gesprächen zu reflektieren. So wurde auch über die Organspende gesprochen, die schließlich in die Wege geleitet wurde“, berichtet Pfarrer Jung-Hankel. „Der Tod eines jungen Familienmitgliedes ist das Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Aber es war wichtig, diese Familie beim Abschiednehmen zu begleiten. Das einfühlsame Eingehen auf die Angehörigen und das kooperative Miteinander aller Beteiligten war dafür ganz entscheidend.“

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